Forschungsschwerpunkte:


Pragmatisierung / Entpragmatisierung im 18. und frⁿhen 19. Jahrhundert: Grundlagen, Spannungsfelder und Antworten in neuen literarischen wie theoretischen Konzepten.

Dieser Forschungsschwerpunkt gliedert sich in vier Forschungsfelder, die sich untereinander vielfΣltig berⁿhren, ⁿberschneiden, entsprechend wechselseitig erhellen.

1. Das VerhΣltnis von Literatur und funktionalen Diskursen in Frankreich zwischen 1750 und 1830.

Das Projekt geht von der Beobachtung aus, da▀ seit der AufklΣrung dieselben Autoren neben Roman, Theater, Poesie andere Textsorten mit anderen (dezidiert pragmatischen) Strategien wΣhlen und sich dabei doch an dasselbe Publikum, den gebildeten Leser, richten: philosophische Essays, politische Theorie, Reden, Kulturtheorie, wissenschaftliche Texte, Literaturkritik, autobiographisches Schrifttum usf. In diesem Zusammenhang werden Gattungsgrenzen in auffΣlliger Weise durchlΣssig: aus funktionalen Textsorten dringen Inhalte, Formen und Redestrukturen in die Fiktion ein und verΣndern deren Charakter. Umgekehrt entlehnen die funktionalen Textsorten, deren pragmatische ReferentialitΣt nicht in Frage steht, der Literatur Darstellungsverfahren. Das PhΣnomen setzt sich dabei ⁿber die Epochenschwelle der Revolution bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts fort und kreiert historische KontinuitΣt gerade da, wo man gewohnt ist, Traditionsbrⁿche anzunehmen.
In diesem Umfeld soll (an unterschiedlichen Autoren und Gattungen) untersucht werden, wie die Genera gegeneinander durchlΣssig werden, wie ein Literaturbegriff sich durchsetzt, der gerade keinen besonderen Status der Literatur gegenⁿber anderen Textsorten postuliert (im Unterschied zur gleichzeitigen deutschen Entwicklung). VerΣnderungen des ErzΣhlens werden dabei in den Blick treten, weiter soll nach dem VerhΣltnis von Wissenschaftsdiskurs und Literatur gefragt werden, ebenso nach dem VerhΣltnis von Literatur und Literaturkritik.

Wichtige Forschungsliteratur

zum dargelegten Problemfeld liegen bisher keine einschlΣgigen Forschungen vor.

Eigene Vorarbeiten (Kurt Kloocke, Romanisches Seminar)

M÷gliche Dissertationsprojekte



2. Die literaturtheoretischen Debatten von Gottsched bis zur Romantik als eine Vorgeschichte der Realismusdiskussion.

In Deutschland gerΣt das im 18. Jahrhundert entwickelte literarische System, das durch die Literarisierung und Integration von Zweckformen und durch die wirkungspoetisch begrⁿndete Ausbildung einer Vielzahl von Mischgattungen bezeichnet ist, frⁿher und nachhaltiger als in anderen Literaturen in die Krise. Zweifel an direkten Wirkungsm÷glichkeiten der Literatur und die Ausbildung einer philosophischen ─sthetik fⁿhren in der 'Kunstperiode' zunΣchst zu einem Gattungspurismus, der den Gattungsdogmatismus Gottscheds unter systematischen Gesichtspunkten weit ⁿberbietet, der aber zugleich den Keim zur v÷lligen Aufhebung von Gattungsansprⁿchen enthΣlt. In diesem Zusammenhang lassen sich die literaturtheoretischen Debatten von Gottsched bis zur Romantik als eine Vorgeschichte der Realismusdiskussion lesen, wobei populΣrphilosophische Diskussionen und poetologische ▄berlegungen in den literarischen Texten sowie ─u▀erungen der Kritik in die Untersuchung einzubeziehen sind. Die kontroverse Einschreibung der Bedeutung von lebensweltlichen Bezⁿgen und von Gattungsansprⁿchen ist auf grundsΣtzliche literaturtheoretische Implikationen und literaturgeschichtliche Eigenheiten hin zu untersuchen.

Wichtige Forschungsliteratur

Eigene Vorarbeiten (Klaus-Detlef Mⁿller, Deutsches Seminar)

M÷gliche Dissertationsprojekte



3. Kants Kritik der Urteilskraft als theoretische Grundschrift zum Thema des GK; theoretische und literarische Aneignungen der Position Kants in der deutschen Literatur der Kunstperiode.

Ein weiterer Nukleus dieses Forschungsschwerpunkts wird eine neue Auseinandersetzung mit Kants Kritik der Urteilskraft sein als einer theoretischen Grundschrift zum Thema des GK, insofern sie in paradoxer VerschrΣnkung der Entpragmatisierung (mit der Bestimmung der Σsthetischen und teleologischen Urteilskraft) wie der Pragmatisierung (in der Funktionalisierung der Schrift als Brⁿckenschlag zwischen der Welt der reinen und der praktischen Vernunft) eine systematische Rechtfertigung gibt. Die von Kant sich herschreibende hohe Erwartung an die Kunst in der deutschen klassisch/romantischen Epoche, die Welten der Sinnlichkeit/Determination und der Idee/Freiheit vermitteln zu k÷nnen (insofern philosophische Pragmatisierung), und der prekΣre Status der Kunst in den verschiedenen Konkretisierungen solcher Vermittlungsleistung als Schein, 'blo▀es' Symbol, 'Spiel' (insofern insgesamt Entpragmatisierung) rechtfertigen eine integrierende Betrachtung des Kunst- (Literatur-) Schaffens und der in dieser Zeit sich entwickelnden Literaturtheorie vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis zu Hegels Diktum vom 'Ende der Kunst'.
Untersucht werden verschiedene theoretische wie literarische Aneignungen (auch in der Form der Abgrenzung oder versuchten ▄berwindung) der Position Kants, wobei vier Felder unterschieden werden: Ausarbeiten der prekΣren Vermittlung, die die KdU entwirft (Goethe, K.Ph. Moritz), Versuche, die Position der KdU zu ⁿberwinden (einerseits Schiller, andererseits H÷lderlin, Jean Paul und die Frⁿhromantiker als Negation der Negation [Fichtes emphatische ▄berwindung Kants negierend]), radikales ▄berprⁿfen/Herausarbeiten der problematischen Implikationen der 'Angebote' der KdU (Kleist).

Wichtige Forschungsliteratur

Eigene Vorarbeiten (Bernhard Greiner, Deutsches Seminar)

M÷gliche Dissertationsprojekte



4. Pragmatisierungs- und Entpragmatisierungsschⁿbe in der amerikanischen Literatur des ausgehenden 18. und frⁿhen 19. Jahrhunderts.

Ein weiteres Arbeitsfeld dieses Forschungsschwerpunkts betrifft Pragmatisierungs- und Entpragmatisierungsschⁿbe in der amerikanischen Literatur des ausgehenden 18. und frⁿhen 19. Jahrhunderts. War die amerikanische Literatur bis weit ins 18. Jahrhundert vornehmlich durch religi÷se, moralisierend-didaktische Funktionszuweisungen bestimmt, die sich aus dem Weltbild der Puritaner herleiteten, so ergab sich aus den rationalistisch-aufklΣrerischen Str÷mungen des 18. Jahrhunderts die Notwendigkeit einer umfassenden Neubestimmung der Funktionen literarischer Diskurse. Die skeptische Infragestellung der in der Kolonialzeit und der Zeit der Frⁿhen Republik noch unhinterfragt gⁿltigen Funktionalisierungen der Literatur ergab sich sowohl aus der verΣnderten Wirklichkeitsauffassung und ─sthetik der nunmehr an Bedeutung gewinnenden Common Sense-Philosophie als auch aus dem gleichzeitig einsetzenden Versuch ihrer ▄berwindung. Literatur blieb zwar auch weiterhin vordergrⁿndig moralisierend-didaktischen Absichten verpflichtet, unterlief die eigene Funktionszuschreibung aber zugleich durch eine Neubestimmung moralischer Normen aus dem Geist einer aufklΣrerischen RationalitΣt.
Die Aufl÷sung der Funktionszuweisungen der Literatur, die innerhalb des traditionellen Gattungssystems vorgegeben schienen, fⁿhrte im spΣten 18. Jahrhundert allerdings nicht allein zu einer Entpragmatisierung, sondern zugleich zu einer Neufunktionalisierung der Literatur im Rahmen der Bemⁿhungen um die literarische Konstruktion einer nationalen IdentitΣt. Das Anliegen, die politische UnabhΣngigkeit der jungen Nation durch eine 'kulturelle UnabhΣngigkeitserklΣrung' zu vollenden, dominierte die Funktionsbestimmungen der Literatur der Frⁿhen Republik und machte damit auch die ursprⁿnglichen Bestrebungen zur Befreiung der Literatur aus heteronomen FunktionszusammenhΣngen (etwa dem Zwang zu moralischer Erbauung) zunichte. Mit der Repragmatisierung der Literatur im Sinne eines nationalistischen Projekts erfolgte zudem eine Neubestimmung und VerschrΣnkung von vormals getrennten Diskurstypen: Die Fiktion wurde mitunter im Sinne parteilicher Geschichtsschreibung funktionalisiert, die Geschichtsschreibung selbst zur blo▀en Fiktion hin entgrenzt und Σsthetisiert. Die sich hieraus ergebende Verschiebung der Gattungsgrenzen und die Debatte um die der Fiktion bzw. der Geschichtsschreibung zugrundeliegenden Wirklichkeitsmodelle erschⁿtterte schlie▀lich die mimetische Grundorientierung fiktionaler wie auch historiographischer Diskurse. Die Aufl÷sung des Verweisungsbezugs von Literatur auf (gesellschaftliche) Wirklichkeit hin stellte jedoch implizit die Indienstnahme der Literatur fⁿr politisch-nationalistische Zwecke in Frage. Infolge dieses Prozesses vollzog sich mit der in Amerika verspΣteten Ausbildung einer romantischen Welthaltung erneut ein Entpragmatisierungsschub, der freilich nicht zur Autonomie der Kunst, sondern lediglich zu einer neuerlichen Repragmatisierung in der Aufhebung des Versuchs einer literarisch-nationalen IdentitΣtsstiftung im Akt einer subjektiv individuellen Stiftung des "American Self" fⁿhrte.

Wichtige Forschungsliteratur

Eigene Vorarbeiten (Bernd Engler, Seminar fⁿr Amerikanistik)

M÷gliche Dissertationsprojekte



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© '96 Deutsches Seminar, UniversitΣt Tⁿbingen Letzte Änderung: 23.07.96